Der Kinematograph wurde 1907 als erste deutsche Filmfachzeitschrift gegründet. Zunächst hatte sie als Beilage des Artist nur zwölf Seiten Umfang. Später wuchs der Umfang bis auf 70 Seiten an. 1923 wurde er vom Verlag August Scherl übernommen. Die letzten Ausgaben erschienen 1935. Der vorliegende Text stammt aus dem Heft 864 vom 09. September 1923, Seite 07 bis 08. Alfred Aros Rosenthal wurde am 24.04.1888 in Düsseldorf geboren. Schon im Alter von 20 Jahren wurde er Redakteur bei Der Kinematograph. Er veröffentlichte aber u.a. auch bei Bild und Film. Nach einem kurzen Intermezzo in Konstantinopel intensivierte er ab 1913 sein Engagement in der Filmbranche und kehrte zum Kinematographen zurück. Nach dem 1. Weltkrieg wurde er 1923 dort Chefredakteur. 1933 musste er seinen Posten aufgrund des zunehmenden Antisemitismus aufgeben. Er emigrierte mit seiner Familie zunächst nach Paris, geriet aber 1942 in Gefangenschaft der Nazis und wurde am 20.08.1942 nach Riga deportiert und kurze Zeit später ermordet. |
Das Filmplakat ist immer schon Gegenstand langer und ernster Auseinandersetzungen gewesen. Von ihm ging ein gutes Teil der Kinofeindschaft aus, weil man von den primitiven, blutrünstigen, marktschreierischen und übersensationellen Zeichnungen auf den gesamten Filminhalt schloß.
Es brauch in einem Fachblatt nicht besonders betont zu werden, daß die meisten Filme denn doch erheblich besser waren als ihre Plakate.
Das acht- und zehnteilige Riesenplakat kam aus dem Ausland zu uns oder wurde auch bei uns angefertigt, weil es das Ausland nun einmal verlangte.
Der billigste Plakatkünstler war der beste. Die Affiche mußte möglichst bunt und möglichst wild sein, dann war alles in bester Ordnung.
Das wurde erst langsam anders, als während der Kriegszeit ein großer Zug in die deutsche Filmindustrie kam.
Gegen Kriegsende sah man das eine oder andere hübsche Plakat von Leonard oder von Ernst Deutsch bei Gaumont oder bei der Union, wo Davidson auf allen Gebieten die besten Namen zur Mitarbeit heranzog.
Während des Krieges fiel an künstlerischer Durcharbeitung in erster Linie die Reklame der Decla auf, für die damals Direktor Erich Morawski verantwortlich zeichnete. Gegen Ende des Krieges übernahm dann die Ufa auf dem Gebiet der künstlerischen Reklame die Führung. Es gab keinen Maler von Namen, ganz gleich, ob er Plakate zeichnen konnte oder nicht, der nicht durch F.W. Koebener zur Mitarbeit herangezogen wurde.
Allmählich ist es selbstverständlich geworden, daß das Kinoplakat in Form und Format, im Sujet und in technischer Durchführung erste Qualität sein muß, aber es hat doch lange keinen ausgesprochenen Plakatschlager mehr gegeben. Man sah gut gelungene, wirkungsvolle Bild- und Schriftdarstellungen, aber doch nicht das, was man exzeptionell oder glänzend gelungen nennen konnte.
Das beste Mittel, in diese Eintönigkeit des Plakats Abwechselung zu bringen, ist unbedingt ein Preisausschreiben.
Direktor Pfeiffer von der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft griff für seinen Film Die Heilige zu diesem Mittel und stattete seine Auslobung, um sie besonders zugkräftig zu machen, mit wertbeständigen Preisen aus.
Im Preisgericht saßen der Reichskunstwart Dr. Redslob, Lovis Corinth, Professor Behrens neben Direktor Pfeiffer.
Die Entwürfe, die mit den ersten drei Preisen gekrönt wurden, bringen wir in der Abbildung.
Es ist ohne Frage, daß diese Arbeiten künstlerisch hochinteressant sind, besonders wenn man Gelegenheit hatte, sie in den Originalfarben zu sehen. Aber sie zeigen auf der anderen Seite, daß die Teilnehmer an diesem Wettbewerb das Wesen und die Aufgabe des Filmplakats absolut verkannt haben und daß in der Praxis wohl keine der prämiierten Skizzen irgendeinen Erfolg bedeutet hätte.
Das Filmplakat soll entweder an der Plakatsäule oder vor dem Kinoeingang zu dem Besuch des Films anregen. Es muß also deshalb zum mindesten den Stil des Bildes oder seinen Inhalt ahnen lassen. Sobald man also über das reine Schrifplakat hinausgeht, kommt nur eine szenische Darstellung in Frage oder aber ein portätähnlicher Kopf der Hauptperson. Auf die Porträtähnlichkeit
kann im allgemeinen nicht verzichtet werden, weil es für den geschäftlichen Erfolg oft sogar ausschlaggebend ist, wer die führende Rolle verkörpert.
Es genügt zum Beispiel vollständig, wenn der Kopf Henny Portens oder das Bild von Conrad Veidt auf einer Plakatsäule erscheint mit einem einfachen Aufkleber, der den Namen des Theaters nennt. Es genügt aber auch die Andeutung einer großen Sensation oder einer anderen Massenszene, um die Zuschauer des Plakats zur Besichtigung des Films zu locken.
Diese künstlerisch stilisierten, übermodernen Formen, die aus den hier abgebildeten und preisgekrönten Entwürfen sprechen, dürften sicherlich Ausdruck starker künstlerischer Persönlichkeiten, modernster malerischer Gestaltungsform sein, aber, rein filmisch betrachtet, sind sie so gut wie gar nicht verwendbar.
Deshalb ist das Verdienst der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft und ihres Direktors nicht geringer einschätzen. Er hat getreu den Zielen seines Vereins, wieder einmal ein Stück kulturelle Filmarbeit geleistet, die, wie wir betonen möchten, schließlich der ganzen Industrie zugute kommt und nicht nur den Leuten vom Film, sondern auch den deutschen Kunstgewerblern, weil sie wieder einmal veranlaßt worden sind, sich mit der Filmgebrauchsgraphik zu beschäftigen, der sie in vielen Fällen mit einem gewissen Unbehagen gegenüberstehen, weil sie sich nicht recht mit den praktischen Erfordernissen des Kinotheaters abzufinden wissen. Sie wollen gerade beim Film hohe Kunst liefern, obwohl nirgends klarer Kunstgewerbe verlangt wird.
Kino und Graphiker ist überhaupt ein Kapitel, das nicht oft genug angeschnitten werden kann. Alle Versuche, die man bisher zu einer engen Zusammenarbeit unternahm, scheiterten nicht am guten Willen, aber an der mangelnden Fähigkeit beider Parteien, sich in die Gedankenwelt des anderen einzufühlen. Der Graphiker will wohl Filmplakate malen, Filminserate entwerfen, aber er gibt sich nicht die Mühe, in die Psychologie des Kreises einzudringen, auf den seine Arbeiten wirken sollen. Die Filmleute dagegen meinen in vielen Fällen, alles besser wissen zu können. Sie geben dem Künstler irgendeine Idee, hemmen also die schöpferische Phantasie und verlangen meist Dinge, die graphisch in künstlerischer Lösung überhaupt nicht durchzuführen sind.
Der Wettbewerb der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft hat diesen Fehler vermieden. Man wollte gerade die Phantasie der Künstler anregen, ließ ihnen jede gewünschte Freiheit, die außerhalb alles Künstlerischen liegen und die hier nicht näher erörtert werden können.
Es wäre außerordentlich interessant gewesen, die Wirkung der Arbeit Wittigs auf das Publikum und vor allen Dingen auf die Filmleute selbst zu studieren.
Es ist schon einmal mit einem ultramodernen Plakat ein glänzender Geschäftserfolg errungen worden. Das war bei Caligari, einem Film, der allerdings nach einem überexpressionistischen Plakat schrie.
Nach diesem alten Beispiel zu urteilen, hätte man auch vom Werbestandpunkt aus den prämiierten Entwürfen ein günstiges Prognostikon stellen können.
Die Arbeit Fritz Webers war übrigens als Beilage gedruckt und ergab, schwarz auf gelbem Papier, eine starke, massige und eindringliche Wirkung.
FPA 04.01.2023