Das Plakat - Mitteilungen des Vereins der Plakatfreunde erschien von 1910 bis 1921. Herausgeber war der bedeutende Plakat-Sammler Hans Sachs. Die Zeitschrift wurde bei einer maximalen Auflage von ca. 10.000 Exemplaren im Sommer 1921 national und international beachtet. Der vorliegende Text stammt aus dem Heft Nummer 2, 8. Jahrgang, März 1917, Seite 103. Ernst Collin, geboren am 31.5.1886 in Berlin - gestorben 1942 in Auschwitz, war Buchbinder, Schriftsteller, Redakteur und Antiquar. Er schrieb verschiedene Aufsätze zum Thema Buchbinderei und Gebrauchsgrafik. |
Mein Aufsatz im September-Novemberheft 1916 des Plakats, in dem ich an manchen Erscheinungen der jüngsten Filmreklame tadelnde Kritik übte, hat mir, wie nicht anders zu erwarten war, von manchen Seiten Widerspruch eingetragen. Es sei daran erinnert, dass ich gegenüber einem Aufschwung der Kinoreklame vor dem Kriege einen merklichen Niedergang in den letzten Jahren feststellen musste. Eine Ueberprüfung des von mir Gesagten gibt mir aber keine Veranlassung an dem Urteil etwas zu ändern, dass gegenwärtig an den Anschlagsäulen immer noch weniger gute Kinoplakate erscheinen, als schlechte. Auch die polizeiliche Einschränkung, die für die Darstellung eines Kinoplakates hauptsächlich nur den Kopf des Darstellers zulässt, hat die Kinoreklame im Allgemeinen nicht gebessert. Nun besteht aber die Kinoreklame nicht allein aus der, die der breiten Oeffentlichkeit bekannt wird, sondern es gibt neben dieser noch eine „interne“, die über den engen Kreis des Lichtspielfaches nicht hinauskommt und die trotzdem – und auf das „trotzdem“ sei besonders freudige Betonung gelegt – zu einem Teile wenigstens sich vom guten Geschmack leiten lasst. Es ist diejenige Reklame, mit der die Filmerzeuger in ihren Fachblättern für den Absatz ihrer Erzeugnisse werben. Ein Beispiel dafür, dass diese Werbung mit künstlerisch bedeutsamen Mitteln hin und wieder vor sich geht, sind die beiden Beilagen dieses Heftes, die uns von Gipkens in diesem Falle „zarter“ Hand die Filmdarstellerin Hedda Vernon in einer ihrer Rollen zeigen. Die Blätter sind genau in derselben Art, in der wir sie hier bringen, in der Zeitschrift „Der Film“ erschienen. Die Farben sind nicht durch den Druck, sondern durch Handmalerei hergestellt, die natürlich fabrikmässig geschehen ist, aber doch genau nach der Vorlage des Künstlers.
Mit diesen beiden Blättern hat Gipkens Capriccios geschaffen von höchst prickelndem Reiz. Natürlich kann man solche Blätter in den Filmzeitungen an den Fingern abzählen. Aber dass sie überhaupt erscheinen, inmitten der auf jede künstlerische Wirkung verzichtenden photographischen Ankündigungen, ist, wie noch einmal betont sei, höchst erfreulich. Bedauerlich ist nur, dass derartige Blätter unter Ausschluss der Oeffentlichkeit erscheinen; sie würden auf das die Lichtspieltheater besuchende Publikum einen nicht zu verkennenden erzieherischen Einfluss ausüben. Und sie mögen den Filmtheaterleitern ein Fingerzeig sein, ihre Ankündigungen der Vortragsfolge auf ähnliche Weise zu veredeln.
Die beiden Blätter der Hedda Vernon, bei denen Gipkens trotz der rein künstlerischen Absicht so etwas wie eine Bildnisähnlichkeit der in ihrer Rolle dargestellten Schauspielerin gegeben hat, bieten mir Anlass auf das Thema: Filmplakat und Bildnisähnlichkeit noch einmal kurz einzugehen. Es ist bedauerlich, dass schon vor dem Augenblick, in dem das Bildnisplakat für den Film das durch die behördliche Vorschrift gegebene war, die meisten Filmplakatzeichner an der Bildnisähnlichkeit scheitern.
Ich hatte darauf in meinem Aufsatz im September-Novemberheft bereits hingewiesen und von dem Schematischen gesprochen, mit dem der Kopf des Detektiv mimenden Filmdarstellers auf irgend einem gedankenlosen Hintergrunde grob herausgearbeitet und mit anscheinend photographischer Treue wiedergegeben wird. Auch hier bietet ein Gipkens-Plakat – das mir vorgelegen hat –, ein Schulbeispiel dafür, wie es ein Künstler besser machen kann. Eine der jüngsten Arbeiten Gipkens', die wir ebenfalls als Beilage bringen, ist das Plakat für einen Film „Phantomas“ genannt, auf dem der Kopf des Schauspielers Erich Kaiser-Titz sichtbar wird. Er wird sichtbar, sage ich. Denn hier ist der Kopf nicht einfach hingemalt, sondern steigt aus dem schwarzen Hintergrunde gespenstisch auf. Damit ist gleichzeitig der phantastische Inhalt des Schauspiels zum Ausdruck gebracht. Hier ist der Kopf nicht einfach Kopf, sondern gleichzeitig reklamekünstlerische Synthese des Spiels. Ganz eigenartig ist auch hier die Behandlung des Kopfes selbst. In gelber, blaugrün umrändeter, flächenhafter Zeichnung wird nur das halbe Haupt sichtbar. Die andere Hälfte ist nur durch einen kleinen gelben und einen grösseren gelben, wieder blaugrün geränderten Lichtfleck an der Augenstelle angedeutet. Trotzdem erscheint der Kopf auf genügende Entfernung plastisch vollständig. Und er ist, was durch den Auftrag gegeben war, bildnisähnlich.
So sieht man, wie die durch behördliche Vorschriften gezogenen Grenzen auf den Künstler sogar Ideen gebend wirken können, wenn er eben ein Künstler ist.
Diese kurzen Ergänzungen zu meinen Ausführungen über die Filmreklame mögen genügen, um zu zeigen, dass das Werbewesen des Films, trotz manches Minderwertigen, das es uns in letzter Zeit aufgetischt hat, auch des guten reklamekünstlerischen Einschlags nicht enträt. Und das berechtigt immerhin besten Hoffnungen.
Ernst Collin