Gustaf Kauder, Berlin - Ludwig Kainer

Cover Das Plakat Mai-Juli 1918Das Plakat - Mitteilungen des Vereins der Plakatfreunde erschien von 1910 bis 1921. Herausgeber war der bedeutende Plakat-Sammler Hans Sachs. Die Zeitschrift wurde bei einer maximalen Auflage von ca. 10.000 Exemplaren im Sommer 1921 national und international beachtet.

Der vorliegende Text stammt aus dem Heft Nummer 3/4, 9. Jahrgang, Mai-Juli 1918, Seite 101 bis 106. Die meisten Abbildungen fehlen, die übrigen sind verlinkt.

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Ludwig Kainer

Zu den meistgesehenen Plakatkünstlern der Reichshauptstadt Berlin gehört seit 2 Jahren Ludwig Kainer. Manche Woche schlägt er jeden Rekord, mit zwei und drei Plakaten gleichzeitig an den Säulen. Diese schnelle Beliebtheit beginnt ihm zu schaden. Da er in erster Linie der Propagandist der Berliner Filmbühnen, insbesondere des Tauentzien-Palastes ist, also Woche um Woche für jedes neue Programm eine neue Affiche bringen muß, leistet er naturgemäß oft Ungleichartiges. Kollegiale Neidlosigkeit bestimmt dann ihr Urteil gern nach den unteren Grenzen. Eine sachliche Analyse seines Plakatwerkes wird aber, wie jede Kunstkritik, mit dem Maßstab der besten Leistungen des Künstlers arbeiten müssen.

Ludwig Kainer ist am besten genetisch zu erklären: er ist Autodidakt. Der zeichenlustige junge Münchner Arzt hat niemals systematisch, niemals theoretisch gelernt. Geschmack, Empfindung, ein sinnlich künstlerisches Temperament, eine zeichenfertige Hand war ihm angeboren, das andere hat er sich sozusagen naturwissenschaftlich experimentell selbst zusammengesucht. Er hatte keine Lehrer, und keine Lehrmeister außer den Kunsterlebnissen.

Vielleicht schläft noch ein Maler selbstunbewußt in ihm. Bis jetzt wird man ihm wohl nur als Zeichner, als einen unserer schwungvollsten Illustratoren ansprechen können. In einer Weise ist er da unvergleichlich begabt, oder wie man es nur mit dem Melodieenreichtum eines Johann Strauß, eines Schubert vergleichen könnte: das ist seine Linie. Keiner unter den deutschen Zeichnern hat eine so melodiöse,

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sinnlich feine, die Nerven des Betrachters wundervoll angenehm berührende Linie wie er. Wie alles Primäre einer künstlerischen Begabung ist diese Linie, seine höchstpersönliche zeichnerische Schrift, weiter nicht definierbar.

Es ist, wenn man will, autodidaktisch, daß er sich auf das Primäre seiner Begabung, auf diese Linie, in seiner Kunst immer ausschließlicher stützt, mit der Entwicklung ein immer überzeugterer, immer absoluterer Konturist wird. Licht und Schatten sind ihm wenig, höchstens noch kompositioneller, ornamentaler Behelf. Er erreicht jede Plastik allein mit der Linie. Und am sichersten ist er in der Plastik – der Frau.

Ludwig Kainers Zeichenstrich ist von einer Sinnlichkeit, die fast anstößig wäre, wäre sie nicht so aestethisch raffiniert. Deshalb ist dieser Oberbayer der vollendetste zeichnerische „homme à femmes“, den wir in Deutschland haben. Niemand kann wie er den verlockenden Ansatz einer jungen Brust, die Schwellung einer Schulter, das zarte Rippenwerk eines weiblichen Oberkörpers „griffig“ machen. Er zeichnet Frauen nicht, er tastet sie mit dem Stift ab. Eine lebemännische Brutalität ist in dieser Auffassung der Frau. Aber er versöhnt sein liebstes Modell mit dieser fast beleidigenden Besitznahme durch den Stift, durch sein unbegrenztes Verstehen der ganzen weiblichen Wesenheit. Keine ihrer Eitelkeiten, ihrer heimlichsten Gepflegtheiten ist ihm fremd, er ist ebenso berauscht wie sie selber von der Aesthetik ihres Beiwerkes, ihrer Kleidung, ihres Schmuckes, ihrer Frisur, ihrer Beschuhung. Er hat die körperliche, ästhetische, phantastische Stileinheit der erotischen Frau vollendet begriffen. Er ist ein wirklicher Galantuomo, ein Frauenlob der Illustration, seine melodische Linie singt das Minnelied des Ewigweiblichen.

Das also sind die stärksten Elemente seiner Zeichenkunst: Melodik und Erotik. Die letzte Entwicklung zeigt ihn aber schon auf dem Wege jeder echten Kunst, auf dem Wege zum Stilisten seiner eigenen Ursprünglichkeit. Zum ornamentalen Stilisten. Er, der durch das Erlebnis Toulouse-Lautrecs erwacht ist, geht zu Gavarni über.

Sind das Elemente einer Plakatkunst? Doch, und zwar einer ebenso wirksamen wie vornehmen. Das Frauenbild hat noch immer das größte Publikum in dieser sinnlichen Welt. Vor billiger Wirkung bewahrt ihn, daß ihm jede falsche Pikanterie, jede unechte Eleganz gegen seinen kultivierten Geschmack geht, daß er niemals Berliner Bardamen, sondern (sinnliche) Frauen zeichnet. Daß er jede kompositionelle Ergänzung, jedes Möbel, jede Vase, jedes Kissen, jeden Blumentopf, mit sicherstem Empfinden wählt, stellt, abstimmt. Daß er sich von der Frau zeichnerisch herausgefordert fühlt, aber sie nicht herausfordernd zeichnet, daß er nicht bei der sinnlichen Bewegung des Aktes verharrt, die er virtuos bis zur Auswendigkeit meistert, sondern immer stärker zur absolut schönen Form hinstrebt.

Bisher war immer nur vom Zeichner Kainer die Rede. Das heißt aber nicht, daß er keine Farben hätte. Er hat sogar sehr graziöse, sehr persönliche Farbnuancen, (man könnte geradezu von einem Kainerschen Grün, von einem Kainerschen Blau sprechen), und er bringt sie außerordentlich dekorativ an. Aber er verwendet

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sie doch immer nur so sparsam wie ein Illustrator, als Effekte, nicht als Ausdrucksmittel. Sieht man sein Plakatwerk durch, so findet man vorwiegend Schwarz-Weiß. Das genügt ihm.

Danach ist seine Auffassung vom Plakat ungefähr die, daß es eine Schrift an das Publikum sein soll, aber nicht eine Wortschrift, sondern eine Bildschrift. Doch faßt er den Bildinhalt niemals im eigentlichen Sinne eines Sachplakates. Eher freischöpferisch. Er zeichnet dem Publikum etwas vor, daß es herschauen muß. Nicht alle Aufgaben des Plakates mögen damit gelöst werden können. Aber manchmal, wenn er die Eingebung hat, erreicht er seinen Zweck besser als durch jede sachliche Gebundenheit. Auf diese Art sind seine Plakate manchmal schlecht, aber immer absolut künstlerisch, nicht kunsthandwerklich.

Da er immer nur der Laune seiner Eingebung folgt, und manchmal der Uebellaune der Arbeitsunlust ein Plakat abpressen muß, bleibt er fast stets bei seinem eigenen Thema, nicht bei dem des Plakates. Wo Ausnahmen vorkommen, sind sie meist danach. Aber es spricht für einen Künstler, wenn er nur schlecht gegen seine Natur kann. So sind seine Plakate fast alle figural, und am häufigsten weiblich. Natürlich war er nicht immer so, und schon die Durchsicht der hier abgebildeten Proben zeigt beträchtliche, chronologische Unterschiede. Ein Autodidakt tastet sich anfangs immer an Vorbildern entlang, und zu allererst an den Primitivsten, Verständlichsten. Der Münchner Kainer hat beim . . . Simplizissimus-Engl begonnen. Die Bierathmosphäre dieses oberbayrischen Humoristen dunstet in dem Robert und Bertram-Plakat, einem der ältesten (Bild 2). Uebrigens verrät es einen Sinn für Karikatur, der bei Kainer nicht angeschminkt, nur unausgenützt ist, und von dem er schon andere kräftige Proben gegeben hat, z.B. eine Asta Nielsen-Karikatur, und das Valeska Gert-Plakat (Beilage), in dem die Karikatur wieder zur zeichnerischen Finesse geworden ist.

Sehr deutlich erkennt man auch den Pariser Abschnitt seiner Entwicklung. In Paris hat Kainer individuell künstlerisch zu denken begonnen. Aber seine Hand wurde dort früher fertig als sein Charakter. (Vergl. Liebeswahn, Irrwege, Bild 3 und 10, ungemein durchgezeichnete Blätter). Später dann, mit der wachsenden Empfindung, vereinfacht er sich, wird aber auch problematisch, sucherisch in der Ausführung. Das entfremdet ihn eine Zeitlang dem Plakat bis er plötzlich begreift, daß auch er im Plakat nur das zu zeichnen braucht, wozu er Lust hat. Das Kinoplakat erleichtert das sehr, seit Kinodirektoren auf das blutige Messer des früheren Aushanges zu verzichten gezwungen sind.

Man wird manchmal entgegen dem Gesagten eine Uebereinstimmung zwischen dem Plakatbild und der Plakatschrift bei Kainer feststellen zu können glauben. Aber meist ist das nur Zufall. Der Titelanlaß kam ihm entgegen, nicht er dem Titel. Wenn er einem Roman „Eine junge Dame von Welt“, den am nächsten liegenden Buchumschlag zeichnet, so war dies keine Sachtreue. Er hätte vielleicht oder wahrscheinlich auch eine junge Dame von Welt auf den Umschlag gezeichnet, wenn das Buch „Rund um die Welt in achtzig Tagen“ geheißen hätte. Höchstens hätte er dann noch einen guten englischen Reisekoffer in einer Ecke angebracht. Oder er hätte die Dame in Skihosen gesteckt, wenn es

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sich um den „Weißen Tod“ gehandelt hätte. Er ist völlig unabhängig vom Plakatthema, wenn nicht zufällig ein Wort daraus eine zeichnerische Liebhaberei in ihm trifft. Er hatte z.B. ein Filmplakat „Das Geheimnis der Pagode“ zu machen. Das Wort Pagode brachte ihm die Erinnerung an seine Indienreise zurück, Erinnerung an die sehr empfundene Schönheit indischer Buddhabronzen. Er macht also eine edle, patinagrüne Buddhabronze, stellt sie aber – Erinnerung an die vollendeten Interieurs Englands – auf eine herrliche, rote Mahagonikommode. Und hatte da, ohne überhaupt zu wissen, wovon der Film handelte, eines seiner nobelsten und wirksamsten Plakate zugleich geschaffen.

Es ist immer nur das persönlich Erlebte, was er darzustellen unternimmt. Daher hat er öfter als alle deutschen Plakatzeichner den Akt für die Affiche verwendet. Er macht das Plakat für eine kritisch-kämpferische Zeitschrift „Das Forum“ – ach was, er wollte nicht Himmelstürmer oder sowas symbolisieren, sondern ein Aktreigen interessierte ihn in rhythmischer Aufwärtsbewegung. Die Schwerter sind dann nachträgliche Zutat (Bild l). Er kollidiert da manchmal mit der Zensur (Flora, Bild 8 und 9), aber er läßt nicht davon, begnügt sich nicht mit der zeichnerischen Verspottung des Zensors, sondern sucht sein Problem praktisch möglich zu machen. Gegen einen männlichen und weiblichen Doppelakt (Kinoplakat „Es werde Licht“) kann dann der Zensor nichts mehr einwenden, das Plakat aber ist Straßengespräch und verhilft mit zu der vierwöchigen Zugkraft des Filmes.

Er sublimiert sich immer weiter ins absolut künstlerische des Plakates. Er bringt statt Verbildlichung des Kino-Plakattitels das Porträt der Hauptdarstellerin, n.b. wenn es ihn interessiert. Handelt es sich dabei um Henny Porten- oder Mia May-Films, so entspricht das zufällig völlig den Absichten des Auftraggebers. Aber er entfernt sich ebenso unbekümmert bis zur Unerklärlichkeit davon, wenn der Auftrag in eine Periode ganz anderer Empfindungen und Studien fällt. Er behält aber doch immer recht, weil der Einfall des Künstlers stets aufsehenerregender ist als die beste Sachidee des Geschäftsmannes. (Das Paradies der Verbrecher, Bild 4).

Die innere Entwicklung dieses geborenen Technikers ist schwer und langsam. Nur sehr allmählich bereichert er sich stofflich. Es ist gesagt worden, daß er am allermeisten die Frau zeichnet. Davon zeugen auch die Männer seiner Plakate. Es sind immer Männer aus der Frauenwelt. Auch hier bringt der Zufall den vollsten Treffer (das Bildnis des Dorian Gray, Beilage), wenn alle Elemente seiner zeichnerischen Vorliebe gegeben sind. Ebenso allmählich vertieft sich seine Empfindung bis zu einem (untheoretischen) Expressionismus. Das ist sein letzter Entwicklungsabschnitt bisher. (Der Knute entflohen, – Beilage, – das aber in Ausnützung eines belgischen Skizzenbuches von Mons und Charleroi entstanden ist. Denn er kann nichts ohne das persönliche Erlebnis.)

Zusammen: Kainer führt nicht Plakatvorwürfe aus, setzt nicht Titel und Sachanlässe in Bilder um, sondern nur das, was ihn als absoluten Zeichner und Künstler beschäftigt, wendet er auch im Plakat an. Das mag manchmal eine Vergewaltigung des Plakates sein, und nach strenger Norm überhaupt keine Plakatkunst im Sinne des Zünftlers. Aber in diesem Einzelfall bestätigt es seine Richtigkeit und Zulässigkeit. Es braucht hier nicht untersucht zu werden, ob es für oder gegen einen

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Plakatzeichner spricht, sich auch an einem Hosenträgerauftrag entzünden zu können. Auch Hosenträgerplakate müssen gemacht werden und können gut gemacht werden. Kainer würde da wahrscheinlich Ausflüchte machen, würde nichts vom Hosenträger erzählen, den er nebensächlich neben eine wundervolle Palme, für die er wie für alles Pflanzliche und Blütenhafte (Melodiker!) so ungemeines Gefühl hat, zu Boden fallen ließe. Aber der Beschauer würde die Hosenträgermarke nicht mehr vergessen, weil sie ihn an eine unvergeßliche Palme denken läßt. Einseitigkeit der Fantasie ist eben kein Mangel, wenn sie Charakter ist. Kainer als Plakatkünstler ist kein vorbildlicher und kein belehrender Fall, sondern ein durchaus individueller. Der aber gerade wegen seiner Seltenheit so schätzenswert ist. Vielleicht schadet es seiner absoluten Kunst, daß er ihre Probleme oft nur im Plakat studiert und dann bewenden läßt. Aber unsere Plakatsäulen haben unbedingt Vorteil davon!

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Filmplakate von Ludwig Kainer 1913-1918

Auszüge der Seite 108 derselben Ausgabe von Das Plakat. Im Archiv enthaltene Plakate sind verlinkt.

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Weblinks

FPA 30.01.2016