von Kathrin Nehm und Tim Fischer, April 2006
„Dass Phraseologismen Varianten besitzen und Modifikationen aufweisen, d. h. mit Wirkungsabsicht vorgenommene Veränderungen in ihrer Form oder Bedeutung oder beidem […], ist eher Normalfall denn seltene Abweichung. Aufgrund der Kenntnis von 'Modellen‘ der Phraseologismenbildung werden feste Verbindungen gerne von Journalisten, Schriftstellerinnen und Schriftstellern kreativ umgestaltet und eingesetzt […].“ (Hartmann / Schlobinski 2005: 3)
Phraseologismen tauchen nicht nur in der Werbung für einen Film, in Einleitungen für Filme oder im filmischen Dialog auf, sondern fallen dem Betrachter schon viel früher ins Auge. Filmtitel sind die erste Information, die man über einen Film erhält und sie sind in nicht wenigen Fällen Phraseologismen. Filmtitel müssen prägnant sein, etwas über den betreffenden Film aussagen und das Interesse des Zuschauers wecken. Weil Phraseologismen diese Eigenschaften erfüllen, haben sie auch im Bereich Film eine wichtige Funktion.
Im folgenden Teil werden einige ausgewählte Filmtitel zur beispielhaften Analyse herangezogen und auf ihre Funktion hin betrachtet.
2003 |
2001 |
2005 |
1998 |
2004 |
1975 |
2002 |
2006 |
1955 |
1959 |
1983 |
2005 |
2002 |
1978 |
2 Fast 2 Furious (2003) ist die Fortsetzung des Films The Fast and the Furious (2001). Die beiden Lexeme fast und furious werden wieder aufgegriffen, so dass der Bezug zu Teil 1 deutlich wird. Es handelt sich bei dem Titel von Teil 2 um ein Beispiel von Modellbildung. Damit sind Ausdrücke gemeint, die „nach einem [festen] Strukturschema gebildet“ sind, aber „autosemantische Komponenten“ aufweisen (Burger 2003: 44).
Das hier zugrunde liegende Modell lautet "too X too Y". Die Komponenten X und Y sind frei besetzbar, allerdings macht in diesem konkreten Fall nur die Besetzung mit den Lexemen "fast" und "furious" einen Sinn, weil somit der Bezug zum vorherigen Teil hergestellt wird. Die beiden Lexeme werden in diesem Modell mit "too" (= zu) in ihrer Bedeutung gesteigert, was ebenfalls als eine Anspielung auf die Fortsetzung des ersten Teils verstanden werden kann.
Eine andere Klasse von Phraseologismen sind die Zwillingsformeln. Sie werden gebildet, indem „[z]wei Wörter der gleichen Wortart oder auch zweimal dasselbe Wort […] mit und, einer anderen Konjunktion oder einer Präposition zu einer paarigen Formel verbunden“ werden (ebd.: 45).
Im Filmtitel Mr. & Mrs. Smith (2005) tritt der Fall auf, dass zwei Wörter der gleichen Wortart (Mr. und Mrs.) mit und verbunden werden. Rein intuitiv wäre hier die präferierte Reihenfolge „Mr. & Mrs.“, es wäre aber auch die Paarung „Mrs. & Mr.“ denkbar.
Ein weiteres Beispiel für eine Zwillingsformel ist der Filmtitel Seite an Seite (1998). Hier wird eine paarige Formel mit zwei identischen Lexemen und der Präposition an gebildet.
„Seit der Frühgeschichte der deutschen Sprache bilden die Zwillingsformeln eine markante Gruppe von Phraseologismen“ (ebd.), was daran liegen könnte, dass sie kurz und prägnant sind und sich aus diesem Grund auch gut als Filmtitel eignen.
Der Titel des Films Wie ein wilder Stier (1980) beinhaltet einen komparativen Phraseologismus. Ein solcher Phraseologismus enthält „einen festen Vergleich, der häufig der Verstärkung eines Verbs oder Adjektivs“ dient (ebd.). In diesem Fall ist das Wort, zu dem ein Vergleich aufgestellt wird, allerdings nicht realisiert. Denkbar wäre allerdings der Vergleich „Er kämpft wie ein wilder Stier“, wenn man bedenkt, dass es in dem Film um einen Boxer geht. Das Bild eines Boxers in Aktion, welches auf dem Filmplakat abgebildet ist, bekräftigt diese mögliche Lesart zusätzlich (siehe Abbildung links).
Der Filmtitel Wie ein einziger Tag (2004) ist ein weiteres Beispiel. Auch hier wurde das Verb nicht realisiert.
Der Phraseologismus, der im Filmtitel Scharf wie Chili (TV 2005) steckt, beschreibt die Verstärkung des Adjektivs scharf.
In diesen drei Beispielen sind die Vergleiche nicht wörtlich zu verstehen, sondern idiomatisch. Durch solche Vergleiche wird eine gewisse Anschaulichkeit erreicht und bestimmte Assoziationen werden hervorgerufen.
Onymische Phraseologismen werden teilweise nicht als Phraseologismen angesehen, weil sie „die Funktion von Eigennamen“ (ebd.: 47) haben und lediglich zur Identifikation dienen. Allerdings kann bei onymischen Phraseologismen, wie bei anderen Phraseologismen auch, „die lexikalische Bedeutung, die die Komponenten außerhalb des Namens haben, jederzeit ‚aktualisiert‘ werden“ (ebd.).
Beispiele für Filmtitel sind Der weiße Hai (1975), Jagd auf Roter Oktober (1990), Roter Drache (2002) und Der rote Kakadu (2006). Wie auch beim Weißen Haus kann man sich die Frage stellen, inwieweit beispielsweise der Weiße Hai tatsächlich weiß ist.
Geflügelte Worte sind Ausdrücke, die nachweisbar auf eine bestimmte Quelle zurückzuführen sind. Sie können beispielsweise aus der Literatur, aus Filmen oder der Werbung stammen. Das Zitat „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“, das aus Shakespeares „Hamlet“ stammt, ist ein klassisches Geflügeltes Wort. Auch wenn die Sprecher nicht genau wissen, woher der jeweilige Ausdruck stammt, so wissen sie doch, dass er allgemein geläufig ist. Der Film … denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) hat als Titel beispielsweise ein Zitat aus der Bibel, das sehr bekannt ist, auch wenn nicht jeder die Quelle benennen könnte. Ein weiteres Geflügeltes Wort, das erst durch einen Film bekannt wurde, ist der Titel des Films Manche mögen's heiß (1959).
Sag niemals Ja (1966) ist die Modifikation des Geflügelten Wortes Sag niemals nie, welches 1983 auch Titel eines James Bond-Filmes war. Unter Modifikation versteht man „die okkasionelle, für die Zwecke eines Textes hergestellte Abwandlung eines Phraseologismus“ (ebd.: 27).
Eine weitere Modifikation wurde bei dem Filmtitel Ein Duke kommt selten allein (2005) vorgenommen. Diesem Titel liegt das Sprichwort „Ein Unglück kommt selten allein“ zugrunde. In diesem Fall hat die Modifikation zwei Bedeutungen: Die Familie Duke hat mehrere Mitglieder, von denen allerdings drei besonders im Mittelpunkt stehen, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass „ein Duke selten allein kommt“. Außerdem wurde das Element Unglück aus dem ursprünglichen Phraseologismus durch die Komponente Duke substituiert, was die Assoziation zulässt, dass die Dukes ebenfalls Unglück bringen. Die Semantik des ursprünglichen Begriffs wird also automatisch auf den neu eingesetzten übertragen.
Ein ähnliches Modell, das ebenfalls mit Assoziation und Modifikation arbeitet, ist der Titel des Filmes Dem Himmel so nah (1995). Der Rezipient erwartet bei diesem Titel eine typisch romantische Geschichte, die ein gutes Ende nimmt. Im Gegensatz dazu steht der Titel Dem Himmel so fern (2002). Hier wurde die Komponente nah durch fern ersetzt, was beim Zuschauer die Vermutung aufkommen lässt, dass die Geschichte eher einen dramatischen Verlauf nimmt und es zu keinem guten Ende kommt. Durch die Modifikation wird also bereits die Melodramatik des Films angedeutet.
Der Modifikation sehr ähnlich ist die Variation. Bei der Variation haben die Phraseologismen „nicht eine, vollständig fixierte Nennform […], sondern zwei oder mehrere sehr ähnliche Varianten“ (ebd.: 25). Es können grammatische oder lexikalische Varianten, kürzere oder längere Versionen oder auch eine Variabilität in der Reihenfolge der einzelnen Komponenten auftreten.
Ein Beispiel für Variation ist der Filmtitel Die durch die Hölle gehen (1978). Die Grundform ist hier „durch die Hölle gehen“, mögliche Varianten wären „Sie gehen durch die Hölle.“ und „Er ist durch die Hölle gegangen.“. Die Wortfolge durch die Hölle ist allerdings nicht variierbar, es handelt sich hierbei um die interne Valenz des Phraseologismus. Unter der internen Valenz versteht man den lexikalisch festen Teil eines Phraseologismus, der nicht verändert werden kann. Im Gegensatz dazu steht die externe Valenz, welche die Leerstellen bezeichnet, die beliebig gefüllt werden können.
Geht man von dem Beispielsatz „Sie gehen durch die Hölle.“ aus, sieht die Valenz folgendermaßen aus:
Filme, die nicht deutscher Herkunft sind, bekommen meistens einen neuen Filmtitel, damit auch die breite Masse etwas damit anfangen kann. Oft wird der englische Titel ins Deutsche übersetzt, doch in einigen Fällen ist es so, dass ein gänzlich neuer Titel verwendet wird. Als Beispiel für diesen Fall werden die beiden Filme Auf der Flucht (1993) und Auf der Jagd (1998) herangezogen, deren Originaltitel jeweils vom deutschen Titel abweichen.
Der Film Auf der Flucht (1993) heißt im Original The Fugitive (1993), ebenso wie auch die dem Film zugrunde liegende Serie im Deutschen Auf der Flucht (1963-1967) hieß und im Englischen The Fugitive (1963-1967), was übersetzt „Der Flüchtige“ oder „Der Flüchtling“ bedeutet. Es stellt sich nun die Frage, weshalb der Titel nicht einfach eins zu eins übersetzt wurde.
Auffällig ist, dass für den deutschen Titel ein Phraseologismus im weiteren Sinne verwendet wurde. Es ist zwar keine Idiomatizität vorhanden, aber die Wortfolge „auf der + Substantiv“ ist dem Sprecher geläufig. Eine mögliche Erklärung für die Abweichung des deutschen Titels ist, dass der Originaltitel weniger nach einer aufregenden Serie bzw. einem aufregenden Actionfilm klingt und deshalb nicht sofort die Aufmerksamkeit des Zuschauers erregt. „Auf der Flucht“ klingt reißerischer und impliziert mehr Spannung als der Titel „Der Flüchtling“. Der Zuschauer verbindet automatisch eine gewisse Dynamik mit dem deutschen Titel und es wird zudem eine bestimmte Erwartungshaltung erzeugt, da vermutet werden kann, dass nicht nur der Flüchtling im Mittelpunkt der Handlung steht, sondern auch der Prozess beziehungsweise der Verlauf der Flucht einen wesentlichen Bestandteil darstellt.
Die Fortsetzung des Films Auf der Flucht (1993) hat den deutschen Titel Auf der Jagd (1998), obwohl der Originaltitel U.S. Marshals (1998) lautet. Der U.S. Marshal, der im ersten Teil den Flüchtling gejagt hat, spielt hier als Jäger die Hauptrolle. Es macht also Sinn, für die Fortsetzung den Phraseologismus des ersten Teils wieder aufzugreifen, um die Verbindung zwischen den beiden Filmen deutlich zu machen. Außerdem wird so die Perspektivenänderung der Erzählstruktur deutlich und der Zuschauer weiß sofort, dass dieses Mal nicht der Flüchtling, sondern der Jäger im Mittelpunkt der Geschichte steht. In diesem Teil geht es also um den Prozess beziehungsweise den Verlauf der Jagd.
1993 |
1998 |
1998 |
Am Beispiel des Filmtitels Dich kriegen wir auch noch! (1998) soll exemplarisch die Beziehung zwischen Titel und Plakat verdeutlicht werden.
Zunächst ist der Satz in resultativer Lesart zu verstehen (vgl. auch Schlobinski 2005: 17): „Wir schaffen es, dich auch noch zu fassen.“ Das Verb kriegen ist in diesem Fall transitiv und fordert somit zwei obligatorische Ergänzungen: Ein Agens als Subjekt und ein Patiens als Akkusativobjekt.
Die prototypische Reihenfolge bei diesem Valenzschema lautet eigentlich „Wir kriegen dich auch noch!“. Das direkte Objekt dich tritt hier aber im Vorfeld auf und wird somit topikalisiert bzw. fokussiert. Diese Fokussierung wird auch an der Hervorhebung von dich auf dem Plakat deutlich. Zum einen steht es separat in einer einzelnen Zeile, und zum anderen ist es in einer größeren Schriftart gehalten. Somit ist die Topikalisierung von dich sowohl syntaktisch als auch optisch gegeben.
Während im ebenfalls resultativen Satz „Peter kriegt den Bus“ das Patiens unbelebt ist, ist es bei „Dich kriegen wir auch noch!“ jedoch belebt. Das Patiens (bzw. das „Leidende“) ist hier also eine Person. Somit wird wiederum durch die Syntax des Filmtitels bereits eine Beziehung zu den Handlungselementen des Films hergestellt, denn hier leiden Jugendliche unter Experimenten, indem sie nach und nach einer Gehirnwäsche unterzogen werden.
Zudem kommen durch das deiktische dich im Filmtitel als mögliche Adressaten der Äußerung sowohl Filmfiguren in Frage als auch der Betrachter des Filmplakats beziehungsweise der Leser des Filmtitels, der sich in gewisser Weise von dem Titel selbst angesprochen fühlt.