Die Monatszeitschrift Der deutsche Film - Zeitschrift für Filmkunst und Filmwirtschaft wurde von der Reichsfilmkammer von 1936 bis 1943 heruasgegeben und erschien in einer Auflage von ca. 6500 Exemplaren. Insgesamt gab es 82 Ausgaben, die von den Aliierten nach dem Sieg über Nazideutschland verboten und aus öffentlichen Bibliotheken entfernt wurden. Dem Bundesarchiv in Berlin wurde aber 2007 ein vollständiger Satz aller Ausgaben von der Gillespie Collection übergeben und dort archiviert. Der vorliegende Text stammt aus dem Juli-Heft 1937, Seite 18 bis 21. Der Text ist nicht namentlich gekennzeichnet. Das interessante an dem vorliegenden Text ist, dass er sich nicht den negativen Argumenten gegen Filmplakate anschließt, die noch wenige Jahre zuvor in der Fachpresse üblich waren. Hier darf man aber nicht vergessen, dass der Film für die Nazis ein wichtiges Propaganda-Instrument war - und somit erfüllte auch das Filmplakat indirekt einen wichtigen politischen Zweck in der gleichgeschalteteten Kulturlandschaft kurz vor dem 2. Weltkrieg. |
„Wer einmal die Unzahl der wöchentlich herauskommenden Filmplakate überdenkt, wem die Schönheit unserer Straßen und Bahnhöfe und Städte am Herzen liegt, der weiß, daß hier eine zeitgemäße, künstlerische Aufgabe ihrer Lösung harrt.“
Innerhalb der Werbung ist die Filmwerbung von je her das Stiefkind gewesen und ist es auch bis heute geblieben. Jeder, der sich berufen fühlt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, erinnert sich sehr schnell daran, daß die Wiege des Films einmal auf dem Jahrmarkt stand. Die ersten Filmbesucher wurden durch den noch heute sehr bekannten, marktschreierischen Lockruf „Hereinspaziert, meine Herrschaften! Hier sehen Sie die sensationellste Attraktion des 20. Jahrhunderts!“ geworben. Von dieser Erinnerung bis zu der lapidaren Feststellung, daß die Filmwerbung sich auch heute noch marktschreierisch gebärde, ist nur ein kleiner Schritt.
Es wird vielfach festgestellt, daß sich heute gerade die Werbung auf beachtlicher Höhe befindet, nur die Filmwerbung mache da eine bedauerliche Ausnahme, sie sei stehengeblieben und verstoße noch reichlich oft gegen alle künstlerischen und geschmacklichen Gesetze. Solche harte Kritik über die Filmwerbung findet man nun nicht etwa in der Filmfachpresse, sondern zum größeren Teil in Zeitungen und Zeitschriften, die sich den vielfältigsten Gebieten und Erscheinungsformen unseres Lebens zuwenden und die u.a. auch den Film und die Werbung für ihn mit mehr oder weniger Sachkenntnis behandeln. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Filmfachpresse die Filmwerbung unkritisch betrachtet; im Gegenteil, es ist da schon manchem, der sich allzufrei über die Grenzen des guten Geschmacks hinwegsetzte, sehr hart auf die Finger geklopft worden. Jeder, der an der Filmwerbung beteiligt ist, wird eine solche Kritik, die aus der genauen Kenntnis der ganzen Materie kommt, begrüßen und dankbar sein, denn diese Kritik ist in den meisten Fällen das, was heute jede Kritik sein sollte: nicht nur verneinend, sondern auch gleichzeitig den richtigen Weg weisend.
Wenn aber in einer sonst sehr beachtlichen Wochenschrift davon geschrieben wird, daß wöchentlich eine Unzahl von Filmplakaten herauskomme (siehe oben), so ist der Verfasser mit keinerlei Sachkenntnis beschwert. Die drei größten deutschen Verleihfirmen – Ufa, Tobis und Terra – kündigten in ihrem bisher größten Jahresprogramm 1937/38 insgesamt 106 Filme an. Die Produktion der übrigen Verleiher ist mit 44 Filmen eher zu hoch, als zu niedrig gegriffen. Das gibt eine deutsche Jahresproduktion von 150 Filmen. Für jeden dieser Filme werden in der Regel zwei Plakate herausgebracht, das sind also in einem Jahr 300 Plakate. Jeder kann sich danach ausrechnen, wie groß in Wirklichkeit die „Unzahl“ der wöchentlich erscheinenden Filmplakate sein kann. Auf dieses Beispiel ist absichtlich zurückgegriffen worden, weil es bezeichnend ist für die fachlichen Kenntnisse derjenigen, die sich berufen fühlen, die Filmwerbung zu kritisieren, herabzusetzen, ohne aber auch nur etwas Positives aufzuzeigen.
Wer sich einmal eingehend mit der Filmwerbung und speziell mit dem Filmplakat, von dem hier gespro-
chen werden soll, beschäftigt hat, wird zugeben, daß Entgleisungen und Geschmacklosigkeiten gewiß vorgekommen sind, und daß ein großer Teil unserer Filmplakate sich noch sehr weit von dem entfernt, was künstlerisch empfindende Menschen als ein ideales Plakat ansehen. Von den Entgleisungen und Geschmacklosigkeiten soll hier nicht gesprochen werden, sie kommen wohl überall vor. Man sehe sich nur einmal etwas eingehender die Anschlagsäulen unserer Großstädte an, und man wird vieles finden, was verbrannt werden müßte, trotzdem oder gar weil die Werbung allgemein auf beachtlicher Höhe steht; denn je qualitativ besser der Gesamtstandard ist, um so schneller und sicherer wird das minderwertige Erzeugnis herausfallen und zu erkennen sein.
Ja, aber das Filmplakat?! Ist es nicht wirklich um so viel schlechter als die Plakate des Einzelhandels und der Markenartikel-Industrie? Wenn diese Frage mit einiger Sicherheit so oder so beantwortet werden soll, ist es erforderlich, die Aufgabe der Plakate innerhalb der Filmwerbung ganz kurz zu untersuchen, und zwar unter gleichzeitiger Betrachtung der Aufgabe der Plakate innerhalb der übrigen Werbung.
Das Plakat der Markenartikel-Industrie geht in seiner Gestaltung zumeist von bekannten Begriffen aus, z.B. einer Zigarettenmarke, einer Firmenmarke oder sonst einem im täglichen Bedarf immer wiederkehrenden Bedarfsartikel, von dem jeder Mensch, auch der blutigste Laie, eine ganz bestimmte, festumrissene Vorstellung hat; eine sehr wichtige Voraussetzung für die Gestaltung eines Plakates, denn sie ermöglicht es, dem ersten Grundsatz eines guten Plakates, nämlich der plakativen, d.h. ins Auge fallenden Gestaltung Rechnung zu tragen. Ein Plakat der Zigarettenindustrie kann das beste der Gegenwart sein, trotzdem es zum 100. Mal die Packung oder die Zigarette selbst oder den Namen der Zigarette zum Vorwurf hat. Es kommt da nur auf den Künstler und seinen Entwurf an.
Dem Film fehlen diese Möglichkeiten und Voraussetzungen. Der Film kann nicht mit bereits bekannten Begriffen arbeiten. Ufa und Tobis, um von den Namen zu sprechen, sind sehr einprägsame Zeichen. Über den einzelnen Film sagen sie dem Publikum nichts oder sehr wenig. Der Film „Anna Favetti“, der Film „Pygmalion“, der Film „Capriccio“ oder der Film „Yvette“ muß dem Publikum erst inhaltlich nahegebracht werden. Das zwingt bei der Gestaltung der Plakate vornehmlich zur figürlichen Darstellung. Wer diese Notwendigkeit erkennt und bejaht. wird zugleich die engen und hinderlichen Grenzen erkennen müssen, die der Gestaltung unserer Filmplakate gezogen sind. Auch bei Stoffen, die dem Publikum bekannter sind und etwas mehr sagen, wird man nicht auf die figürliche Darstellung zugunsten einer plakativen Höchstwirkung verzichten können, denn z.B. ein Film wie „Der Herrscher“ erhält seine Bedeutung beim Publikum zunächst einmal durch die Mitwirkung eines Mannes wie Staatsschauspieler Emil Jannings, und ein Film, wie „Maria Stuart“, sagt dem Publikum dann etwas ganz bestimmt Werbendes aus, wenn es weiß, daß Zarah Leander die Hauptdarstellerin ist. Auf diese Umstände muß Rücksicht genommen werden, und trotzdem muß versucht werden, die künstlerische und plakative Wirkung der Filmplakate zu steigern. Es ist in den letzten Jahren immer wieder mit Erfolg versucht worden, in der Gestal-
tung der Filmplakate neue Wege zu gehen und für den Entwurf neue und künstlerische Kräfte zu finden. Es gibt heute schon eine Reihe von Plakatkünstlern, die gerade für den Film ihre ersten Plakate entworfen haben. Die hier veröffentlichten Bildbeispiele lassen erkennen, in welcher Richtung die Versuche zur Verbesserung unserer Filmplakate gehen. Sie geben allerdings – und das sollte man beachten – nur einen unvollständigen Eindruck wieder, weil eines der wichtigsten Momente bei diesen Beispielen, nämlich die Farbe fehlt. Filmplakate, wie sie in den letzten Jahren von Fennecker [sic], Pewas, Bauer, Böttcher, Trieb, Hermann [sic], Streimann, Ewert, Geffers und Thiele geschaffen wurden, zeugen von dem ernsten und vielfältig mit Erfolg belohnten Streben zum künstlerischen Filmplakat, dem Willen, es aus einer gewissen Schablone zu befreien und es trotz vieler natürlicher Hindernisse zu einer Form zu führen, die den Vergleich mit anderen Plakaten nicht zu scheuen braucht. Der deutsche Film ist nach dem Willen seines Schirmherrn, des Herrn Reichsminister Dr. Joseph Goebbels, im Dritten Reich eine neue Form künstlerischen Schaffens; das Filmplakat von heute ist der Versuch, mit künstlerischen Mitteln für das neue Kunstwerk „Film“ zu werben.
FPA 21.02.2016